Kofi Annan war die Vereinten Nationen

von António Guterres

 

António Guterres ist Generalsekretär der Vereinten Nationen. Seine Rede beim Begräbnis von Kofi Annan in Accra, Ghana, am 13. September 2018.

Seit dem Schock über den Tod des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan habe ich darüber nachgedacht, was ihn so besonders machte.

Für mich ist es ganz einfach das: Kofi Annan war einzigartig, aber auch einer von uns.

Er war aussergewöhnlich in seiner globalen Führungsrolle – und er war auch einer, mit dem sich praktisch jeder auf der Welt identifizieren konnte: jene in Armut, in Konflikten und in Verzweiflung, die in ihm einen Verbündeten sahen; der junge UNO-Mitarbeiter, der in seine Fußstapfen tritt; der junge Mensch, dem er bis zu seinem letzten Atemzug sagte “denk immer daran, du bist nie zu jung, um zu führen – und wir sind niemals zu alt, um zu lernen.

Wie nur wenige in unserer Zeit konnte Kofi Annan Menschen zusammenbringen, sie beruhigen, und sie für das gemeinsame Ziel der gemeinsamen Menschlichkeit vereinen.

Es gibt einen alten Witz: Die Kunst der Diplomatie ist, nichts zu sagen, besonders wenn man spricht.

Kofi Annan konnte alles sagen, manchmal ohne ein Wort zu sprechen. Es kam aus der Würde und der moralischen Verpflichtung und der Menschlichkeit, die tief in ihm waren.

Er hatte diese sanfte Stimme, dieses Trällern, dass Menschen lächeln und an Musik denken ließ. Aber seine Worte waren hart und weise. Und manchmal wurde seine Stimme leiser, je ernster eine Situation war.

Wir haben aufmerksam zugehört, Die Welt hat aufmerksam zugehört. Und wir wurden durch seine Weisheit belohnt.

Kofi Annan war mutig, hat die Wahrheit gesagt, während er sich einer intensiven Prüfung unterwarf. Und wie sein Vorgänger UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld hatte er einen fast mystischen Sinn für die Rolle der Vereinten Nationen als eine Kraft des Guten in einer Welt der Missstände.

All das summierte sich zu einer bemerkenswerten Erfolgsbilanz.

Er war Wegbereiter für neue Ideen und Initiativen, einschließlich der Millenniums-Entwicklungsziele und der wegweisenden Reform in seinem Bericht “In Larger Freedom”.

Er öffnete die Türen der Vereinten Nationen, brachte die Organisation näher zu den Menschen und verpflichtete neue Partner für den Schutz der Umwelt, die Verteidigung der Menschenrechte und den Kampf gegen HIV/Aids und andere tödliche Krankheiten.

Kofi Annan war die Vereinten Nationen und die Vereinten Nationen waren er.

Er war auch mein guter Freund. Wir gingen in vielerlei Hinsicht gemeinsam durchs Leben.

Als die Menschen von Osttimor nach ihrem Selbstbestimmungsrecht strebten, arbeiteten wir zusammen – er von den Vereinten Nationen und ich als Premierminister von Portugal – um eine friedliche Lösung für ihre Notlage zu unterstützen.

Als die UNO-Flüchtlingsorganisation eine neue Führung brauchte, segnete mich Kofi mit seinem Vertrauen, in dem er mich bat, die Rolle zu übernehmen – und bot unerschütterliche Unterstützung für den Schutz der Schwächsten unter den Schwachen und um ihnen Obdach zu geben.

Jetzt, wo ich den Posten einnehme, den Kofi einst inne hatte, werde ich kontinuierlich von seiner Integrität, Dynamik und seinem Einsatz beseelt.

Für ihn war Gleichgültigkeit das schlimmste Gift der Welt.

Sogar nach Ende seiner Amtszeit als Generalsekretär hatte er nie aufgehört, an vorderster Front der Diplomatie zu kämpfen.

Er half, die Spannungen nach der Wahl in Kenia zu lockern, gab sein Letztes, um eine politische Lösung für den brutalen Krieg in Syrien zu finden, und hat einen Weg vorgegeben für Gerechtigkeit und die Rechte der Rohingya in Myanmar.

Kofi überspannte viele Welten, Nord und Süd, Ost und West. Seinen sichersten Anker fand er aber in seinen afrikanischen Wurzeln und seiner Identität.

Der große Nelson Mandela, gewöhnt, Madiba genannt zu werden, hat seinen eigenen Spitznamen für Kofi und rief in “my leader”. Das war kein Scherz. Kofi war auch unser Chef.

Als ich ihn kürzlich bei der UNO sah, war sein Verhalten so wie ich mich immer an ihn erinnern werde: ruhig und bestimmt, bereit zu lachen, aber immer voll des Ernstes für die Arbeit, die wir machen.

Jetzt wo er von uns gegangen ist, werden wir ihn immens vermissen. Aber ich bin mir sicher – wenn wir aufmerksam zuhören, werden wir noch immer die Worte und den weisen Rat von Kofi Annan hören.

“Bitte macht weiter”, höre ich ihn sagen. “Ihr wisst, was zu tun ist: Achtet aufeinander. Achtet auf euren Planeten. Erkennt die Menschlichkeit in allen Menschen. Und unterstützt die Vereinten Nationen – den Platz, wo wir alle zusammenkommen können, um Probleme zu lösen und eine bessere Zukunft für uns alle zu schaffen.”

Wir wollen diese Stimme der Gnade und Vernunft beherzigen – diese Stimme der Moral und Solidarität. Unsere Welt braucht sie jetzt mehr als je zuvor.

Wo wir uns dem Gegenwind unruhiger und turbulenter Zeiten gegenüber sehen, wollen wir uns vom Vermächtnis Kofi Annans inspirieren lassen – und uns führen lassen von der Erkenntnis, dass er weiterhin zu uns sprechen wird, uns bitten wird, die Ziele, denen er sein Leben widmete und damit die Welt bewegt hat, zu erreichen.

 

Photo: UN Photo/Jean Marc Ferré