L/3000
12. April 2002

Internationaler Strafgerichtshof tritt am 1. Juli in Kraft

66 Staaten haben das Statut ratifiziert- sechs mehr als für das Inkrafttreten erforderlich

NEW YORK, 11. April - Mit langem stehenden Beifall endete eine Feierstunde in New York, in der zehn Staaten gleichzeitig ihre Ratifikationsinstrumente des Vertrages über die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) hinterlegten und damit das Inkrafttreten des Statuts ermöglichten.

"Eine neue Seite wurde im Geschichtsbuch der Menschheit aufgeschlagen", betonte der oberste Rechtsberater der Vereinten Nationen, Hans Corell, nachdem die Vertreter von Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, der Demokratischen Republik Kongo, Irlands, Jordaniens, Kambodschas, der Mongolei, Nigers, Rumäniens und der Slowakei die ratifizierten Vertragsdokumente deponiert hatten.

Mit diesen Ratifikationen hätten nunmehr 66 Staaten das Statut ratifiziert, sagte Corell. 60 Ratifikationen seien für sein Inkrafttreten erforderlich. Im Namen von UNO-Generalsekretär Kofi Annan begrüßte Corell die anwesenden Vertreter der Staaten und der Zivilgesellschaft, die viele Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet hatten. Der Vertrag werde am 1. Juli 2002 in Kraft treten.

In einer Plenarsitzung der Vorbereitungskommission für den Gerichtshof, die im Anschluss an die Feierstunde stattfand, würdigte der Präsident von Trinidad und Tobago, Arthur Robinson, das Ereignis als großen Tag für die Menschheit und vor allem für die Opfer der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die bisher keine Abhilfe für ihr Leid fanden. Er erinnerte die Teilnehmer daran, dass der heute verzeichnete große Erfolg auf den Antrag eines kleinen Landes in den Vereinten Nationen - von Trinidad und Tobago - zurückgehe. Der Präsident sprach allen Personen, Organisationen und Staaten, die diese Bemühungen trotz mancher feindseliger Reaktionen am Leben erhalten haben, seinen aufrichtigen Dank aus.

Der Vorsitzende der Kommission, Philippe Kirsch (Kanada), sagte, das historische Ereignis sei nicht nur Ergebnis eines zehn Jahre zurückreichenden Prozesses, sondern verwirkliche auch einen Traum - den Traum von internationaler Gerechtigkeit für alle, der das Zeitalter der Straflosigkeit ablösen werde. Nun, da der Gerichtshof Wirklichkeit werde, gelte es, ihn so stark und wirksam wie möglich zu machen. Dazu müsse die Vorbereitungskommission alle vorliegenden Fragen rechtzeitig klären, um die baldige Einsetzung des Gerichtshofes zu ermöglichen. Das Schwergewicht müsse jetzt von der Ratifikation auf die universelle Teilnahme verlegt werden.

Eine Vertreterin der Koalition der Nichtregierungsorganisationen für den ICC sagte, das Inkrafttreten des Vertrages sei nicht nur ein Sieg seiner Befürworter, sondern auch ein Sieg für die Opfer der abscheulichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es sei aber auch Sieg der neuen Diplomatie zur Weiterentwicklung des Völkerrechts, betonte die Sprecherin.

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Hintergrund

Am 9. Dezember 1948 hatte die UNO-Generalversammlung die Konvention zur Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes angenommen, die Völkermord als "Verbrechen nach dem Völkerrecht" qualifiziert und festlegt, dass Personen, die des Völkermordes beschuldigt werden, vor ein zuständiges Gericht des Staates auf jenem Territorium gebracht werden sollen, auf dem die Tat begangen wurde, oder vor einen allenfalls zuständigen internationalen Strafgerichtshof…". Gleichzeitig ersuchte die Versammlung die Völkerrechtskommission die mögliche Errichtung eines internationalen gerichtlichen Organs für die Durchführung von Verfahren wegen Völkermord zu prüfen. Nach einem positiven Bericht der Kommission wurde ein Ausschuss mit der Ausarbeitung von Statuten für einen solchen Gerichtshof betraut. Ein erster Entwurf lag bereits 1951 vor, der 1953 nochmals überarbeitet wurde.

Seither wurde die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes immer wieder erörtert. Auf Antrag von Trinidad und Tobago ersuchte die Generalversammlung im Dezember 1989 die Völkerrechtskommission, ihre Arbeit über den Strafgerichtshof wieder aufzunehmen . Als 1993 der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien ausbrach, richtete sich die internationale Aufmerksamkeit erneut auf Fragen der Kriegsverbrechen, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermordes, die unter dem Deckmantel der "ethnischen Säuberungen" begangen wurden. Der Sicherheitsrat setzte den Internationalen Ad-hoc-Strafgerichtshof für des Ehemalige Jugoslawien ein, um die Täter dieser Gräueltaten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Ein weiteres Strafgericht wurde nach den 1994 in Ruanda begangenen Gräueltaten eingesetzt.

Kurz danach beendete die Völkerrechtskommission ihre Arbeit an dem Statut. Nach weiteren Beratungen in Fachausschüssen beschloss die Generalversammlung 1997 die Einberufung einer Bevollmächtigtenkonferenz, die vom 15. bis 17. Juli 1998 in Rom tagte und schließlich das Statut eines Internationalen Strafgerichtshofes verabschiedete. Einer Gruppe besonders engagierter Nichtregierungsorganisationen und Mitgliedstaaten kam bei dem Zustandekommen des Römer Vertrages eine führende Rolle zu.

Ein internationaler Strafgerichtshof ist das fehlende Bindeglied im internationalen Rechtssystem. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag behandelt nur Fälle zwischen Staaten, nicht zwischen Einzelpersonen. Solange es keinen internationalen Strafgerichtshof gab, vor dem Einzelpersonen abgeurteilt werden können, blieben Akte des Völkermordes oder andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oft ungesühnt.

In den vergangenen 50 Jahren gab es häufig Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, deren Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten. Die meisten Täter konnten davon ausgehen, für ihre Taten nicht bestraft zu werden. Wirksame Abschreckung ist daher ein wichtiges Ziel des Internationalen Strafgerichtshofes. Sobald feststeht, dass die internationale Staatengemeinschaft Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht länger duldet, sondern die Verantwortlichen - ob Staatsoberhäupter oder Armeechefs, ob einfache Soldaten oder Milizangehörige - zur Rechenschaft zieht und angemessen bestraft, besteht Hoffnung, dass jene, die zu Völkermord aufhetzen, ethnische Säuberungskampagnen durchführen, morden, vergewaltigen und Zivilpersonen brutal behandeln nicht länger willige Helfer finden.

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