SG/SM/7923
28. August 2001

Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Kofi Annan vor dem Salzburger "Dialog zwischen den Zivilisationen"

Fuschl, 28. August 2001

Sehr geehrter Kanzler Schüssel,
Frau Minister Ferrero-Waldner,
Herr Picco,
Meine Damen und Herren,

Es ist mir eine Freude, heute dieser Konferenz beizuwohnen, die Österreichs starke Unterstützung für das UNO Jahr des Dialogs zwischen den Zivilisationen fortsetzt.

Ihr Thema ist von grosser Relevanz. Europäische Nationen, Österreich eingeschlossen, sind zunehmend polyglott und multi-kulturell. Kontakte zwischen den Völkern haben sich als Resultat der Globalisierung überall intensiviert.

Der Zeitpunkt dieser Konferenz ist auch gut gewählt. In drei Tagen beginnt die Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskrimierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz in Südafrika. Ich werde direkt von Salzburg dorthin reisen.

Die Vereinten Nationen selbst wurden in dem Glauben gegründet, dass Dialog Uneinigkeit überwinden kann, dass Vielfalt ein universelles Gut ist und dass die Völker dieser Welt mehr durch ihr gemeinsames Schicksal vereint werden als sie durch ihre unterschiedlichen Identitäten getrennt werden.

Diese Ausdrücke - Zivilisationen, Kulturen - sind keine konstanten unbeweglichen geschichtlichen Tatsachen. Sie sind vielmehr Organismen, die ständiger Bewegung ausgesetzt sind: sie wandeln sich, wachsen und adaptieren sich an die neuen Zeiten und Realitäten in ihrer Interaktion.

Sie sind auch nicht identisch mit bestimmten Religionen. Es wäre eine grosse Vereinfachung von christlichen, moslemischen oder buddhistischen Zivilisationen zu sprechen, weil dadurch Grenzen gezogen würden, die nicht existieren.

In der Tat können Verallgemeinerungen über Zivilisationen nicht den Wandlungen der modernen Welt genügen. Migration, Integration und Technologien verbinden die unterschiedlichen Rassen, Kulturen und Volksgruppen; alte Barrieren werden niedergerissen und neue Realitäten geschaffen. Wir sind mehr denn je vielen Einflüssen ausgesetzt und leben, wie nie zuvor, sowohl mit dem "Fremden" als auch dem "Bekannten".

Das soll nicht heissen, dass wir nicht auf unser eigenes Erbe oder unseren Glauben stolz sein dürfen; wir können und sollen das. Aber die Vorstellung davon, dass "unseres" und "ihres" untereinander in Streit sind, ist falsch und gefährlich. Wir können lieben, was wir sind ohne das zu hassen, was wir nicht sind.

Was macht diesen Dialog zwischen den Zivilisationen so sinnvoll?

Erstens ist er eine zeitgerechte und notwendige Antwort auf das Konzept eines unausweichlichen Kampfes der Zivilisationen und stellt ein Mittel wachsender Kooperation dar.

Zweitens und am wichtigsten ist es, dass der Dialog uns helfen kann, wirkliche Misstände aufzudecken, die die Ursache von zentralen Konflikten sind.

Der Balkan hat im vergangenen Jahrzehnt grauenvolle und tragische Beispiele des Gebrauchs und Missbrauchs der Geschichte erlebt, die Trennung und Konflikte geschürt haben. Dort wurde der Prozess des Dialogs unter den Kulturen, der jahrhundertelang bestand, gewalttätig zerstört. Dort hätte ein klareres Verständnis von Geschichte, Kultur und Religion helfen können, den schwierigen Übergang von Kommunismus zu Demokratie zu erleichtern. Wirkliche Probleme und Rechte und Verpflichtungen hätten in einer Atmosphäre von gegenseitigem Verständnis ausdiskutiert werden können.

Im Nahen Osten haben sich delikate Fragen wie Territorium, Nation und Eigentum noch komplexer gestaltet durch religiöse Differenzen um ein Land, das drei Glaubensrichtungen heilig ist. In diesem Fall könnte der Dialog helfen, die sogenannten Zivilisations- und religiösen Fragen von den politischen und territorialen zu entwirren, und auf diese Weise Antworten und Kompromisse zu finden, die allen Glaubensrichtungen gerecht werden.

Es ist nicht meine Absicht zu behaupten, dass keine tiefgreifenden und sehr realen Probleme der Sicherheit, Selbstbestimmung und Würde auf dem Spiel stehen. Aber ein Dialog der Worte und Taten - das heisst eine auf Gegenseitigkeit basierende echte Würdigung der Belange der anderen Seite - kann den Unterschied ausmachen beim Finden eines Weges zu dauerhaftem Frieden.

Idealerweise sollten wir nicht warten, bis wir tief in einem Konflikt stecken, um mit einem solchen Dialog zu beginnen. Wir sollten damit beginnen, wann immer und wo immer wir die Chance dazu haben - wo immer kommunale Spannungen aufkommen, wo immer Menschen beraubt wurden, vor der Herausforderung stehen, miteinander zu leben.

Das ist ein Grossteil des Anliegens der Weltkonferenz gegen Rassismus. Wir möchten den Kampf gegen Intoleranz verstärken - mit legalen Mitteln, mit Bildung, mit ökonomischer und sozialer Entwicklung. Und wir möchten dies tun, lange bevor Beschwerden und Vorurteile ausser Kontrolle geraten und die Menschen sich auf dem Schlachtfeld wiederfinden, in Konflikten, die sie nicht ausfechten können oder wollen.

Die Konferenz ist ein Aufruf zum Handeln. Intoleranz ist auf der ganzen Welt gleichermassen verbreitet wie verderbbringend. Aber unsere Herausforderung ist nicht nur, die Krankheit zu diagnostizieren, sondern auch zu behandeln.

Wir können Diskriminierung nicht als einen unvermeidbaren Aspekt der menschlichen Natur abtun. Ebenso wie Menschen dazu erzogen werden koennen, zu hassen, können sie auch lernen, andere mit Würde und Respekt zu behandeln. Ebenso wenig können wir Intoleranz als absehbares Nebenprodukt von Armut, Ungerechtigkeit oder schlechter Leitung akzeptieren. Es steht sehr wohl in unserer Macht, solche Bedingungen zu ändern.

Auch können wir es uns nicht leisten, Hetztiraden zu ignorieren, weil Worte vermeintlich wenig Schaden anrichten. Feindliche Rhetorik ist all zu oft der Auslöser feindlicher Handlungen, und feindliche Akte eskalieren zu Gewalt, Konflikt und Schlimmerem.

Alle von uns müssen sich an diesem Kampf beteiligen. Regierungen können sichern, dass konstitutionelle, rechtliche und administrative Garantien vorhanden sind. Sie sind auch in der besten Position, Probleme anzugehen, die Intoleranz nähren, wie etwa die Arbeitslosigkeit. Präsidenten und Premiers sollten einen nationalen Dialog über diese Themen führen.

Natürlich muss die Bildung eine zentrale Rolle spielen. Aber Bildung ist nicht nur eine Angelegenheit der Schulen. Einige Länder haben spezielle Massnahmen ergriffen, eingewanderte Journalisten in nationale und regionale Rundfunkstationen zu integrieren. Die Geschäftswelt kann öffentliche Aufmerksamkeit durch ihre Einstellungs-Verfahren und andere Praktiken erhöhen. Und Erziehung muss zu Hause beginnen, denn schliesslich hat oftmals rassistisches Verhalten dort seinen Ursprung.

Dieses Unterfangen hat eine klare internationale Dimension. Abkommen der Vereinten Nationen haben oft als Grundlage für nationale Gesetze gedient. Unsere Entwicklungsarbeit, friedenserhaltende Massnahmen und Menschenrechtsprogramme sowie humanitäre Hilfe haben alle das Prinzip der Gleichheit zum Kern.

Eine der bedeutendsten Arbeiten wird momentan von den Internationalen Kriminaltribunalen für Ruanda und das frühere Jugoslawien geleistet. In den jüngsten Verurteilungen wegen Völkermordes, Vergewaltigung, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sehen wir entscheidende Schritte zu Verantwortlichkeit und gegen Straffreiheit. Es ist meine grosse Hoffnung, dass das Statut des Internationalen Kriminalgerichtshofes bald die 60 Ratifikationen erhalten wird, die für sein Inkrafttreten erforderlich sind, so dass der Gerichtshof seinen Platz im internationalen Rechtssystem einnehmen kann.

Ich hoffe, dass Österreich aktiv an der Durban Konferenz teilnimmt, und mit anderen Nationen seine Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Intoleranz teilt. Die Konferenz wird nach einer Deklaration und nach einem Aktionsplan mit spezifischen, vorausschauenden und praktischen Empfehlungen streben, auf deren Grundlage Regierungen und die Zivilgesellschaft das neue Jahrhundert von Rassismus befreien können, der das vorausgegangene so geplagt hat.

Um das zu schaffen, müssen wir unnachgiebig auf uns selbst und auf die Schwachstellen in den Gesellschaften schauen, die wir errichtet haben. Die Konferenz wird auch die Vergangenheit konfrontieren, aber vor allem muss sie helfen, den neuen Kurs gegen Rassismus fuer die Zukunft festzulegen.

Liebe Freunde,

Neben der reichen Vielfalt von Zivilisationen, Kulturen und Gruppen, so glaube ich, gibt es auch eine globale Zivilisation auf der Welt, die wir aufgefordert sind, zu verteidigen und zu fördern, wenn wir in das neue Jahrhundert aufbrechen.

Dies ist eine Zivilisation, die sich auszeichnet durch ihr Bestehen auf Menschenrechte, Freiheit, ihre Toleranz des Widerspruchs und ihren Glauben an das universelle Mitspracherecht der Menschen zur Art und Weise wie sie regiert werden.

Es ist eine Zivilisation, die darauf beruht, dass Vielfalt etwas kostbares und nichts furchtbares ist. Tatsächlich haben viele Kriege ihren Ursprung in der menschlichen Furcht vor all jenen, die verschieden sind von einem selbst. Nur durch den Dialog können solche Aengste überwunden werden.

Die Vereinten Nationen in bester Verfassung können ein Forum sein, wo der Dialog unter den Zivilisationen florieren und Früchte tragen kann auf jedem Gebiet menschlicher Unternehmungen. Anfang Dezember wird die Generalversammlung eine Sondersitzung zum Dialog abhalten, die eine weitere gute Möglichkeit bietet, den Kampf gegen Verallgemeinerung und falsche Auffassungen für gegenseitiges Verständnis und Wiedergutmachung fortzusetzen.

Der Dialog muss über dieses spezielle Jahr hinausreichen. In der Tat, eine der wichtigsten Lehren aus dem ersten halben Jahrhundert der Vereinten Nationen besteht darin, dass ohne einen solchen Dialog an jedem Tag innerhalb und unter den Nationen kein Frieden dauerhaft bleibt und kein Wohlstand gesichert ist. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen bei dem Versuch, dem Wort Dialog seine wahre Bedeutung zu geben und einen Weg zu anhaltender friedlicher Koexistenz zu finden.

Vielen Dank.

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