SG/SM/9177
OBV/406
WOM/1436
3. März 2004

Generalsekretär Kofi A. Annan:

Frauen könnten bald die Mehrheit aller Aidsinfizierten weltweit sein

Erklärung zum Internationalen Tag der Frau, 8. März 2004

NEW YORK, 2. März – Im Internationalen Jahr der Frau 1975 haben die Vereinten Nationen beschlossen, jedes Jahr am 8. März den Internationalen Tag der Frau zu begehen. Aus diesem Anlass hat Generalsekretär Kofi  Annan folgende Erklärung veröffentlicht:

Während wir den Internationalen Tag der Frau begehen, blicken wir auf die verheerenden Folgen, die die globale HIV/Aids-Epidemie auf Frauen gehabt hat und die entscheidende Rolle, die Frauen bei der Bekämpfung von Aids spielen.

Am Anfang dachten viele Menschen bei Aids an eine Krankheit, die vor allem Männer trifft. Vor einem Jahrzehnt noch belegten Statistiken, dass Frauen weniger betroffen waren. Aber seitdem hat sich eine schreckliche Wende ergeben. Überall in der Welt sind Frauen die Hauptleidtragenden der Epidemie. In Afrika, im Gebiet der Sub-Sahara, sind mehr als die Hälfte aller Erwachsenen, die mit HIV/Aids leben, Frauen. Die Infektionsraten junger afrikanischer Frauen sind höher als die junger Männer. Weltweit sind mindestens die Hälfte der Neuinfizierten Frauen. Unter den Infizierten unter 24 Jahren sind zwei Drittel junge Frauen und Mädchen. Wenn diese Infektionsraten nicht sinken, werden Frauen bald die Mehrheit aller Infizierten weltweit bilden.

Da Aids die Lebensader jeder Gemeinschaft trifft, entwickelt sich ein Teufelskreis. Arme Frauen kommen wegen Aids in noch größere wirtschaftliche Zwänge. Oft verlieren sie ihre Rechte auf Unterkunft, Besitz, eine Erbschaft oder angemessene Gesundheitsversorgung. In ländlichen Gebieten hat Aids zum Zusammenbrechen von Schutzmechanismen geführt, die seit Jahrhunderten dafür gesorgt hatten, dass Frauen während Hunger- und Dürreperioden ihre Familien ernähren konnten. Jetzt führt das zur Trennung von Familien, zu Migration und einem noch größeren Infektionsrisiko. Durch Aids werden Mädchen gezwungen die Schule zu verlassen. Sie werden gezwungen kranke Verwandten zu pflegen, den Haushalt zu führen oder ihre Familie zu unterstützen und geraten in noch größere Armut. In der Folge ist es noch unwahrscheinlicher, dass ihre eigenen Kinder eine Schule besuchen werden, aber es ist wahrscheinlicher, dass auch sie sich infizieren. Deshalb bezahlt die Gesellschaft einen vielfachen und tödlichen Preis, den Aids für Frauen hat.

Warum sind Frauen anfälliger für eine Infektion? Normalerweiser sind sie nicht diejenigen, die die meisten außerehelichen Sexualpartner haben oder häufiger als Männer drogenabhängig werden. Der Grund ist, dass die Ungleichheit der Gesellschaft die Risiken erhöht. Es gibt einige Faktoren - Armut, Missbrauch und Gewalt eingeschlossen - aber auch Informationsmangel und Nötigung durch Männer. Deshalb sind viele etablierte Strategien zur Vorbeugung nicht geeignet. Zum Beispiel diejenigen, die auf Enthaltsamkeit, Treue und den Gebrauch von Kondomen setzen. Wo sexuelle Gewalt weit verbreitet ist, ist es nutzlos, Enthaltsamkeit oder den Gebrauch von Kondomen zu propagieren. Auch eine Eheschließung ist nicht immer die Antwort. In vielen Entwicklungsländern sind die meisten Frauen im Alter von 20 Jahren verheiratet und haben trotzdem höhere Ansteckungsraten als unverheiratete Gleichaltrige, weil ihre Ehemänner oft mehrere Partnerinnen haben.

Wir benötigen einen positiven und konkreten Wandel, der Frauen und Mädchen mehr Macht verleiht und die Beziehungen zwischen Frauen und Männern in allen Gesellschaftsbereichen verändert. Ein Wandel, der Besitz- und Erbrecht der Frauen stärkt und sicher stellt, dass sie Zugang zu allen Schutzmaßnahmen erhalten, einschließlich Mirkobiziden, die die Übertragung von Geschlechts­krankheiten wesentlich verhindern können und dem Einsatz weiblicher Kondome.

Ein Wandel ist nötig, der Männer ihre Verantwortung erkennen lässt. Sie müssen ihren Töchtern eine Ausbildung ermöglichen, ihr Sexualverhalten ändern, das für andere ein Risiko bedeutet und auf Beziehungen mit Mädchen oder sehr jungen Frauen verzichten. Es geht auch darum zu verstehen, dass es keine Toleranz oder tolerierbare Entschuldigungen geben kann, wenn es zur Gewalt­anwendung gegenüber Frauen kommt.

Aus diesen Gründen hat UNAIDS, das gemeinsame HIV/Aids-Programm der Vereinten Nationen eine globale Koalition zu Frauen und Aids im letzten Monat geschaffen. Damit soll Frauen mehr Verantwortung in diesem Bereich übertragen werden und auf der entscheidenden Rolle, die Frauen in diesem Bereich spielen, aufgebaut werden. In den meisten Ländern, die ich bereist habe, sind es die Frauen, die die aktivsten und effektivsten Fürsprecherinnen im Kampf gegen HIV/Aids sind. Überall, wo die Krankheit einen hohen Tribut fordert, gibt es mutige Frauengruppen, die beeindruckende Arbeit bei der Prävention und Pflege leisten. Es muss unsere Strategie für die Zukunft sein, diese Frauen zu unterstützen und andere zur Nachahmung zu ermutigen. Unter ihnen sind die wahren Heldinnen dieses Kampfes zu finden. Es ist unsere Aufgabe, sie mit Stärke, Hoffnung und ausreichenden Hilfs­mitteln auszustatten.

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