Zur Information - kein offizielles Dokument

UNIS/SGSM/736
28. April 2016

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon:

Rede vor dem Österreichischen Parlament

Wien, 28. April 2016

WIEN, 28. April (UNO-Informationsdienst) - Es ist mir eine große Ehre, als erster internationaler Gast eine Ansprache in diesem Parlament halten zu dürfen.

Ich danke Ihnen für Österreichs wichtigen Beitrag zur Arbeit der Vereinten Nationen und dafür, dass Sie ein so großzügiges Gastland sind!

Im Sprachschatz der internationalen Gemeinschaft sind Wien und Österreich gleichbedeutend mit globalem Handeln.

Hier wurden die Wiener Erklärung der Menschenrechte, das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, ja sogar ein Pakt über Pakte - das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge - sowie viele weitere Verträge und Übereinkommen ausgehandelt, die die Welt von heute bestimmen.

Hier veranstalten die Vereinten Nationen große Konferenzen zu Themen, die auf der globalen Tagesordnung ganz oben stehen. Wien ist Dreh- und Angelpunkt für die Tätigkeit der Vereinten Nationen in Bereichen wie der Kernenergie, der Drogen- und Verbrechensbekämpfung, der industriellen Entwicklung und weiteren Bereichen.

In dieser Woche ist Wien Gastgeberin für den Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen des Systems der Vereinten Nationen, der hier zu seiner halbjährlichen Tagung zusammenkommt. Ich danke Ihnen für Ihre herzliche Gastfreundschaft und kräftige Unterstützung!

Erst gestern haben wir hier den 20. Jahrestag des Bestehens der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen begangen. Für mich bedeutete dieser Anlass eine Heimkehr - 17 Jahre nachdem ich den Vorsitz in der Vorbereitungskommission der Organisation geführt hatte.

Damals war ich Botschafter meines Landes Korea in Wien. Wie sich herausstellte, sollte es mein erster und letzter Botschafterposten sein. Obwohl dieser Einsatz von eher kurzer Dauer war, trugen Wiener Leidenschaft und Energie dazu bei, den Kurs meines Lebens zu bestimmen, und gaben mir Anlass, in den Dienst der Vereinten Nationen, dieser großartigen Organisation, zu treten.

Ich ließ mich insbesondere von der pulsierenden Wiener Kunstszene inspirieren. Eine meiner Initiativen war die Organisation der ersten Österreichisch-Koreanischen Philharmonie hier in Wien, die noch immer besteht. Sie verkörpert die Harmonie zwischen beiden Ländern.  Ich bin sehr stolz, dass ich diese Philharmonie organisiert und gegründet habe.

In meinem Herzen wird Wien stets einen besonderen Platz einnehmen. Meine Frau und ich sind noch immer eng mit unseren Freunden von damals verbunden.

Für die Anwesenheit von seiner Exzellenz Bundespräsident Fischer heute in diesem Hohen Haus bin ich sehr dankbar und fühle mich geehrt. 

Ich machte die Bekanntschaft von Bundespräsident Fischer in seiner Zeit als Präsident des Nationalrates. Seitdem ist er mir ein unerschöpflicher Ratgeber und wunderbarer Freund. Nun, vor der Vollendung seiner zweiten Amtszeit als Präsident dieses großartigen Landes möchte ich ihm meine Anerkennung für die inspirierende Art und Weise aussprechen, mit der er Österreich als Staatsoberhaupt nach innen und außen vertreten und geführt hat.

Zum vergangenen Jahreswechsel verbrachten meine Frau und ich einen unserer seltenen Urlaube im Kreise unserer österreichischen Freunde und waren Gäste beim weltweit einzigartigen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

Ich danke Ihnen für die herausragenden Beiträge, die Wien zu den Vereinten Nationen und Österreich zu unserer Welt geleistet hat.

Österreich ist ein äusserst wichtiges und unverzichtbares Mitglied der Weltgemeinschaft, angefangen von Ihrer führenden Rolle in wichtigen Organen der Vereinten Nationen bis zu Ihren friedenserhaltenden Kräften im Feld, von Ihrer Entwicklungszusammenarbeit bis zu Ihrem Eintreten für die Menschenrechte.

Ich danke Ihnen für Österreichs wichtigen Beitrag zur Arbeit der Vereinten Nationen!

Wir brauchen dringend weltbürgerschaftlichen Engagements, um die Vielzahl der Bedrohungen anzugehen, mit denen die Welt konfrontiert ist.

Unsicherheit breitet sich auf der ganzen Welt aus.

Die Ungleichheit zwischen Menschen und zwischen Ländern nimmt zu. Frauen und Mädchen leiden unter schrecklicher Diskriminierung. Zu viele Menschen werden an zu vielen Orten aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität und anderer oberflächlicher Unterschiede ausgegrenzt.

Gewalttätige Extremisten begehen Gräueltaten, die Gemeinwesen spalten und zerstören sollen.

Darauf muss umfassend, aber mit Bedacht reagiert werden. Der Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Verhütung des gewalttätigen Extremismus ist darauf gerichtet, gegen die Triebkräfte dieser Bedrohung anzugehen.

Kein Land, keine Region, mächtig oder einfallsreich, kann die Probleme der Welt allein lösen. Die Herbeiführung gemeinsamer Lösungen ist Sache der Vereinten Nationen. Wir müssen verbunden sein, wir müssen globale Solidarität zeigen, gestützt auf Einigkeit.  

Im Laufe meiner gesamten Amtszeit als Generalsekretär habe ich betont, wie wichtig globale Problemlösungen sind und wie notwendig eine stärkere internationale Solidarität ist. Ich habe Wert darauf gelegt, den Menschen, die sich an den Frontlinien menschlichen Leids befinden, Gehör zu schenken.

Vor allem rühren mich die Kinder, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind. Sie erinnern mich an die Zeit während des Koreakrieges, als ich im Alter von sechs Jahren mit meiner Familie ins entlegene Gebirge fliehen musste.

Die Flüchtlingskinder von heute sind in den Wirren der größten Vertreibungskrise unserer Zeit gefangen.

Überall, insbesondere in Europa, habe ich die führenden Verantwortlichen dazu aufgerufen, mit Mitgefühl und unter Achtung der Menschenrechte zu reagieren.

Österreich hat im Laufe der Jahre seine Solidarität unter Beweis gestellt.

1956 öffnete dieses Land seine Grenzen für die Ungarn, die vor den sowjetischen Unterdrückungsmaßnahmen flohen. Während der Balkankriege der 1990er Jahre war Österreich Zufluchtsort für Tausende traumatisierter Flüchtlinge.

Und als im vergangenen Herbst eine neue Welle von Ankömmlingen aus Syrien und anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens kam, mobilisierten sich Österreicherinnen und Österreicher, um an den Bahnhöfen eine wärmende und helfende Hand zu reichen.

Dieser Ausdruck von Menschlichkeit beeindruckte mich so sehr, dass ich Bundeskanzler Faymann anrief, um ihm meine Anerkennung für die mitfühlende Art und Weise auszusprechen, mit der er die Situation lenkte.

Wir haben eine moralische, rechtliche und politische Pflicht, denen zu helfen, die vor Krieg, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung fliehen.

Unser Bekenntnis zur Menschenwürde wird mit Sinn erfüllt, wenn wir den Familien, die auf der Suche nach Frieden ihr Leben riskiert haben, ein warmherziges Willkommen bereiten und ihnen Unterkunft und Nahrung geben.

Ich erkenne die Großzügigkeit an, die die Menschen und Regierungen Europas bisher gegenüber Migranten und Flüchtlingen gezeigt haben, nicht zuletzt hier in Österreich. Aber es bereitet mir Sorge, dass europäische Länder nun eine zunehmend restriktive Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik verfolgen. Solche Politikkonzepte und Maßnahmen haben negative Auswirkungen auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach dem humanitären Völkerrecht und dem europäischen Recht.

Ich begrüße die offenen Diskussionen, die in Europa - auch in Österreich - zur Frage der Integration geführt werden. Jedoch bin ich über die Fremdenfeindlichkeit, die inner- und außerhalb Österreichs zunimmt, höchst beunruhigt. Alle führenden Verantwortlichen Europas sollten den Grundsätzen gerecht werden, die bisher seine Union geleitet haben.

Spaltung und Marginalisierung verletzen Menschen und untergraben die Sicherheit.

Wenn der Ankunftsprozess gut gesteuert wird, ist die Aufnahme von Flüchtlingen ein Gewinn für alle.

Diese Menschen sind tapfer, widerstandsfähig und vorausschauend. Sie bringen benötigte Fähigkeiten und Energien in ihre neue Gesellschaft ein.

Ich verstehe die Schwierigkeiten und Herausforderungen. Ich würdige und fühle die Ungeheuerlichkeit der Herausforderungen. Ich glaube, dass Österreich weiterhin zu den Bemühungen der Europäischen Union beitragen wird, um gemeinsam diese Themen anzugehen. Die Vereinten Nationen werden darauf beharren, umfassende Lösungen gemeinsam mit der Europäischen Union voranzutreiben.

Am 19. September wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Gipfeltreffen auf hoher Ebene abhalten, um die Frage der großen Bevölkerungsbewegungen auf der ganzen Welt anzugehen - und die Notwendigkeit für eine geteilte Verantwortung. Ich habe Bundeskanzler Faymann gebeten und eingeladen, an diesem Gipfeltreffen im September teilzunehmen.

Im kommenden Monat, am 23. und 24. Mai, werden wir in der Geschichte der Verteinten Nationen den ersten Weltgipfel für humanitäre Hilfe in Istanbul einberufen. Die Führenden werden sich zu einem globalen Bekenntnis verpflichten, die Angriffe auf unschuldige Menschen und gemeinsame Werte zu beenden. 

Von dem Weltgipfel für humanitäre Hilfe soll eine Botschaft der Unterstützung für die 125 Millionen Menschen auf der Welt ausgehen, die unmittelbar von Krisen betroffen sind.

Ich vertraue darauf, dass Österreich sich aktiv an diesen wichtigen Ereignissen beteiligen und dass es seine stolze Tradition der Offenheit und Solidarität bekräftigen wird.

Dazu gehört die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit. Ich war sehr ermutigt, als ich von Außenminister Sebastian Kurz hörte, dass die österreichische Regierung eine drastische Erhöhung der Mittel für ihre wertvolle öffentliche Entwicklungszusammenarbeit plant. Vielen Dank.

Vor dem Hintergrund schweren Leids sehen wir Beweise dafür, dass Multilateralismus funktioniert.

In der vergangenen Woche, am Internationalen Tag der Mutter Erde, haben 175 Länder am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York das Pariser Klimaschutzübereinkommen unterzeichnet. Damit wurde der Rekord für die höchste Zahl von Ländern, die je an einem einzigen Tag einen Vertrag unterzeichnet haben, gebrochen.

Dies baut auf der historischen Vision der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf, die mit 17 Zielen dafür sorgen will, dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können und niemand zurückgelassen wird.

Dieses Projekt ist universal. Selbst in den reichsten Ländern gibt es noch immer Bevölkerungsgruppen, die in tiefster Armut leben. Selbst die technologisch am weitesten fortgeschrittenen Länder können die Umwelt ausbeuten. Und selbst die stabilsten Demokratien kämpfen gegen Rassismus, religiöse Intoleranz und andere Formen der Unterdrückung.

Ich vertraue darauf, dass Österreich einen nationalen Plan zugunsten der Ziele für nachhaltige Entwicklung aufstellen und international tätig werden wird, um dazu beizutragen, anderen einen Weg in eine bessere Zukunft zu bahnen. Die hier in Wien ansässigen Organe der Vereinten Nationen werden Sie alle dabei unterstützen.

Ich bitte auch die Mitglieder der Parlaments, das Klimaabkommen zu ratifizieren, das vergangene Woche von 175 Ländern unterzeichnet wurde.

Um diese ehrgeizigen Pläne in echten Fortschritt umzusetzen, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Die Abgeordneten - und das ist der Ort, wo Sie die Stimmen der Volkes hören - sie sind die wahren Vertreter der Stimmen des Volkes. Sie können seine Anliegen bei den Vereinten Nationen zur Sprache bringen. Und als Gesetzgeber können Sie Ihre Gesellschaft und den Einfluss Österreichs in der Welt gestalten.

Ich hoffe, Sie werden die Ziele für nachhaltige Entwicklung zur Grundlage der österreichischen Entwicklungspolitik machen - und ich bitte Sie dringend, das Übereinkommen von Paris zügig zu ratifizieren.

Fünfzehn Länder haben bereits am Tag der Unterzeichnung ratifiziert und ich war äusserst ermutigt, dass viele Länder ihre Absicht ausgedrückt haben, dieses Abkommen bis Ende des Jahres zu ratifizieren. Wir brauchen 55 Länder und 55 Prozent nachgewiesener Treibhausgasemissionen, um dieses Klimaabkommen in Kraft treten zu lassen. Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Ich zähle auf ihre Führungsqualitäten als Parlamentarier.

Als Parlamentarier können Sie eine entscheidende Rolle dabei spielen, gefährlichen fremdenfeindlichen Diskursen zu begegnen und Vertrauen zwischen Bevölkerungsgruppen zu schaffen.

Sie können auch einen Beitrag zur Stärkung der Frauen leisten, die eine der obersten Prioritäten in meinem Amt als Generalsekretär ist. Ohne die Stärkung von 50 Prozent der Weltbevölkerung können wir die volle Verwirklichung unseres Potentials nicht erwarten.

Ich bin hocherfreut, am Töchtertag oder Girls Day hier zu sein, an dem Sie Ihre Töchter zur Arbeit mitbringen.

Ich habe eine Botschaft für die Mädchen in diesem Publikum und in aller Welt: Seid Weltbürgerinnen. Jede Einzelne von Euch kann einen Unterschied bewirken. Ich zähle auf Euer großes Engagement.

Als ich in Österreich lebte, habe ich sehr hart gearbeitet. Ich hatte jedoch immer ein Gefühl der Leichtigkeit und Behaglichkeit, was daran liegt, dass die Österreicher über so viel Frohsinn und guten Willen verfügen.

Auch wenn ich niemals perfekt Deutsch gelernt habe, so gibt es doch ein Wort, das ich gemeistert habe und das dieses Gefühl treffend beschreibt: Gemütlichkeit. Es ist schwierig zu übersetzen, aber Sie alle verstehen, dass es einem Gefühl der Akzeptanz, ja der Wärme in den sozialen Beziehungen Ausdruck verleiht.

Für mich liegt darin das Wesen Österreichs. Ich vertraue darauf, dass Sie auf Ihren Beziehungen zu den Vereinten Nationen und zu Ihren Nachbarn nah und fern aufbauen und unsere globale Chance auf eine bessere Welt ergreifen werden.

Es ist Ihre und unsere gemeinsame Moral und politische Verantwortung, diese Welt besser zu machen. Alle diese Menschen, ungeachtet dessen woher sie kommen oder welcher Ethnie oder Religion sie angehören oder welche Unterschiede sie haben mögen, wir müssen menschwürdig leben. Das ist, was die Vereinten Nationen machen.

Mir ist die Kritik über die Effizienz und Effektivität der Vereinten Nationen wohl bewusst, aber sie sind die einzige universale, internationale Organisation, basierend auf der  Charta der Vereinten Nationen, die die menschliche Würde und Menschenrechte respektiert, für Frieden und Sicherheit auf der Welt arbeitet und nachhaltige Entwicklung für alle Menschen bietet. Das ist die Organisation, die Sie fördern und unterstützen müssen.

Und als Generalsekretär der Vereinten Nationen bin ich verpflichtet, bis zum letzten Tag meines Mandates zu arbeiten, mit Ihnen zu arbeiten, mit den Menschen auf der Welt, um diese Welt besser für Alle zu machen.

Ich danke Ihnen für Ihre Führerschaft. Danke schön.

* *** *