Zur Information - kein offizielles Dokument

UNIS/INF/571
6. März 2021

Eine Krise mit dem Gesicht einer Frau

von António Guterres

Während die Welt den Internationalen Frauentag inmitten einer globalen Pandemie begeht, ist eine Tatsache klar: Die COVID-19-Krise trägt das Gesicht einer Frau. 

Die Pandemie verschlimmert die ohnehin schon großen Ungleichheiten, denen Frauen und Mädchen ausgesetzt sind, und macht jahrelange Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter zunichte. 

Frauen arbeiten mit größerer Wahrscheinlichkeit in den Sektoren, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Die meisten unentbehrlichen Arbeitskräfte an vorderster Front sind Frauen - viele aus ethnisch marginalisierten Gruppen und am unteren Ende der wirtschaftlichen Leiter. 

Frauen sind um 24 Prozent gefährdeter, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und stärkere Einkommenseinbußen zu erleiden. Das ohnehin schon große Lohngefälle zwischen den Geschlechtern hat sich weiter vergrößert, auch im Gesundheitssektor.

Die unbezahlte Pflegearbeit hat aufgrund von Lock-downs sowie der Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen drastisch zugenommen. Millionen von Mädchen werden vielleicht nie wieder zur Schule gehen. Mütter - insbesondere alleinerziehende Mütter - sind mit akuter Not und Angst konfrontiert. 

Die Pandemie hat auch eine parallele Epidemie von Gewalt gegen Frauen weltweit ausgelöst, mit einem sprunghaften Anstieg von häuslicher Gewalt, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Kinderheirat.

Obwohl Frauen die Mehrheit des Gesundheitspersonals ausmachen, ergab eine aktuelle Studie, dass nur 3,5 Prozent der COVID-19-Einsatzteams zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen. In der weltweiten Nachrichtenberichterstattung über die Pandemie war nur eine von fünf Expertenquellen eine Frau.

All diese Ausgrenzung ist selbst ein Notfall. Die Welt braucht einen neuen Anstoß, um die Führungsrolle und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen zu fördern. Und es ist klar, dass solche Maßnahmen für alle von Vorteil sind. 

Die Reaktion auf COVID-19 hat die Macht und Effektivität von Frauen in Führungspositionen deutlich gemacht. Im vergangenen Jahr hatten Länder mit weiblichen Führungspersönlichkeiten niedrigere Übertragungsraten und sind oft besser für den Wiederaufbau positioniert. Frauenorganisationen haben entscheidende Lücken in der Versorgung mit wichtigen Dienstleistungen und Informationen geschlossen, insbesondere auf Gemeindeebene. 

Wenn Frauen an der Spitze der Regierung stehen, werden größere Investitionen in den sozialen Schutz getätigt und die Armut wird stärker bekämpft. Wenn Frauen im Parlament sitzen, beschließen Länder eine strengere Politik zum Klimawandel. Wenn Frauen am Verhandlungstisch sitzen, sind die Friedensabkommen dauerhafter. 

Dennoch stellen Frauen weltweit nur ein Viertel der nationalen Abgeordneten, ein Drittel der lokalen Regierungsmitglieder und nur ein Fünftel der Kabinettsmitglieder. Bei der derzeitigen Entwicklung wird die Geschlechterparität in den nationalen Parlamenten nicht vor 2063 erreicht werden. Bis zur Parität bei den Regierungschefs würde es weit über ein Jahrhundert dauern. 

Eine bessere Zukunft hängt von der Beseitigung dieses Machtungleichgewichts ab.  Frauen haben ein gleichberechtigtes Recht, mit Autorität über die Entscheidungen zu sprechen, die ihr Leben betreffen. Ich bin stolz darauf, die Geschlechterparität in der Führungsebene der Vereinten Nationen erreicht zu haben. 

Die Pandemiebekämpfung ist unsere Chance, einen neuen und gleichberechtigten Weg einzuschlagen. Unterstützungs- und Konjunkturpakete müssen speziell auf Frauen und Mädchen ausgerichtet sein, auch durch verstärkte Investitionen in die Pflegeinfrastruktur. Die formale Wirtschaft funktioniert nur, weil sie durch die unbezahlte Pflegearbeit von Frauen subventioniert wird.

Während wir uns von dieser Krise erholen, müssen wir einen Weg in eine inklusive, grüne und widerstandsfähige Zukunft einschlagen. Ich rufe alle Verantwortlichen auf, sechs wichtige Bausteine umzusetzen:

Erstens: Sorgen Sie für eine gleichberechtigte Vertretung - von den Vorständen der Unternehmen bis zu den Parlamenten, von der Hochschulbildung bis zu den öffentlichen Einrichtungen - durch besondere Maßnahmen und Quoten.

Zweitens: Investieren Sie in erheblichem Umfang in die Pflegeökonomie und den sozialen Schutz und definieren Sie das Bruttoinlandsprodukt neu, um die Arbeit im Haushalt sichtbar zu machen und zu zählen.

Drittens: Beseitigen Sie Hindernisse für die volle Einbeziehung von Frauen in die Wirtschaft, unter anderem durch den Zugang zum Arbeitsmarkt, Eigentumsrechte und gezielte Kredite und Investitionen.

Viertens: Heben Sie alle diskriminierenden Gesetze in allen Bereichen auf - von Arbeits- und Landrechten bis zum Personenstand und Schutz vor Gewalt.

Fünftens: Jedes Land sollte einen Notfallplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen verabschieden und mit finanziellen Mitteln, politischen Maßnahmen und dem politischen Willen, diese Geißel zu beenden, durchsetzen.

Sechstens: Ändern Sie die Mentalität, schärfen Sie das öffentliche Bewusstsein und weisen Sie auf systemische Vorurteile hin.

Die Welt hat die Chance, Generationen von tief verwurzelter und systemischer Diskriminierung hinter sich zu lassen.  Es ist an der Zeit, eine gleichberechtigte Zukunft aufzubauen. 

* *** *

Der Autor ist Generalsekretär der Vereinten Nationen

Eine Version des Artikels wurde in Wiener Zeitung am 6. März 2021 veröffentlicht.