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UNIS/INF/572
20. Mai 2021
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Wüstenbildung“ hören? An Sanddünen, die fruchtbares Ackerland langsam unter sich begraben? An die Sahara und die Gobi, die Afrika und Asien vereinnahmen? An austrocknende Flüsse und Bäche? Gewiss ist all dies Teil davon. Vor allem aber zeigt sich die Wüstenbildung in der Degradation der Böden – bis hin zu dem Punkt, an dem diese so geschädigt sind, dass sie keinen Lebensraum mehr bieten.
Böden sind weitaus mehr als Erde, und ihre Gesundheit ist für die unseres Planeten unabdingbar. Im Boden unter unseren Füßen wimmelt es von Pflanzen, Tieren und Mikroben. Viele von ihnen sind so winzig, dass sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Und doch ist diese verborgene Welt der Schlüssel zu unserem Überleben, ein wenig beachtetes Reservoir, das unsere Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie speist, zur Regulierung der Treibhausgasemissionen beiträgt und für gesunde Pflanzen, Tiere und Menschen sorgt.
Heute sind jedoch mehr als ein Fünftel der Landfläche der Erde geschädigt, darunter über die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Jedes Jahr werden mehr als 12 Millionen Hektar Land durch Wüstenbildung, Bodendegradation und Dürren zerstört. Mehr als 3 Milliarden Menschen, insbesondere in armen ländlichen Gemeinden in den Entwicklungsländern, leiden darunter. Wenn zudem Flächen übereilt – ohne eine ganzheitliche Betrachtung der Folgen für die Umwelt – in Ackerland umgewandelt werden, setzt dies Kohlenstoff und Stickstoffoxid in die Atmosphäre frei. Der Klimawandel beschleunigt sich, die biologische Vielfalt nimmt ab, und Infektionskrankheiten nehmen zu. All dies gefährdet unsere Wasserreserven, unsere Existenzgrundlagen und unsere Fähigkeit, Naturkatastrophen und extremen Wetterereignissen zu begegnen.
Wenn wir nicht sofort handeln, wird alles nur noch schlimmer werden. In den nächsten 25 Jahren könnten die globalen Nahrungsmittelerträge aufgrund von Bodendegradation um bis zu 12 Prozent sinken, was einen weltweiten Anstieg der Nahrungsmittelpreise um bis zu 30 Prozent zur Folge hätte. Wenn wir uns zurücklehnen, werden wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung niemals erreichen.
Und doch gibt es einigen Grund zur Hoffnung, denn gemeinsam können wir viel bewirken. Wie die rasante Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 gezeigt hat, kann die Menschheit mit dem nötigen Willen und dem Einsatz entsprechender Ressourcen wahrhaft Erstaunliches leisten.
Die Wiederherstellung von 350 Millionen Hektar degradierter Böden bis 2030 könnte zwischen 13 und 26 Gigatonnen Treibhausgase aus der Atmosphäre binden. Für jeden Dollar, der in die Wiederherstellung von Böden fließt, auch im Rahmen arbeitsintensiver Projekte, die geringe Qualifikationen erfordern, sind mindestens neun Dollar an wirtschaftlichem Nutzen zu erwarten. Nicht nur würden branchenübergreifend Arbeitsplätze im Umweltbereich entstehen, sondern wir hätten auch die Möglichkeit, nährstoffreichere Nahrungsmittel zu erzeugen, sauberes Trinkwasser zu sichern, den Verlust an biologischer Vielfalt aufzuhalten, Klimaänderungen abzuschwächen und uns daran anzupassen.
Die Menschen in den Städten benötigen eine verlässliche Versorgung mit Obst und Gemüse. Diejenigen, die Inselhotels betreiben, brauchen geschützte Strände und sich im Wind wiegende Palmen, um Touristen anzuziehen. Und das Überleben kranker Menschen kann von Medikamenten abhängen, die aus der Natur gewonnen werden. All diese Beispiele machen eines deutlich: Das Leben eines jeden Menschen und überhaupt alles Leben auf der Erde ist untrennbar mit unserem Boden verbunden.
Was können wir als Einzelne also tun, um zum Schutz unserer Böden beizutragen? Ein simpler Schritt besteht darin, keine Nahrung zu verschwenden, denn die Produktion von Nahrungsmitteln, die dann nicht gegessen werden, erschöpft die Böden unnötig. Wer in einem urbanen Umfeld lebt, kann über die jeweilige Kommunalverwaltung auf eine grünere Stadt hinwirken, beispielsweise durch innovative Dachgärten und vertikale Wälder.
Die Regeneration der Böden zu fördern, ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Vereinten Nationen. In den kommenden Monaten finden erstmals im selben Jahr große Konferenzen zur Weiterverfolgung der drei Rio-Übereinkommen, des Übereinkommens zur Bekämpfung der Wüstenbildung, des Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen und des Übereinkommens über biologische Vielfalt, statt. Sie bieten uns eine einzigartige Gelegenheit, uns Gedanken zu machen, wie es um die Gesundheit der Erde bestellt ist, wie wir sie verbessern können und was wir tun können, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern.
Ich selbst werde am 20. Mai in New York in dem symbolträchtigen Saal, in dem die Generalversammlung der Vereinten Nationen tagt, eine Tagung auf hoher Ebene über Wüstenbildung, Bodendegradation und Dürren ausrichten. Diese Tagung ist seit mehr als zehn Jahren die erste ihrer Art. Sie wird auf dem bereits Erreichten aufbauen, Lücken in unseren kollektiven Bemühungen aufzeigen und zusätzliche Dynamik im Hinblick auf die drei Konferenzen zur Weiterverfolgung der Rio-Übereinkommen erzeugen. Sie wird uns erneut vor Augen führen, dass Bodendegradation ein wirkliches Problem ist, das es zu bekämpfen gilt, und dass die drei scheinbar unterschiedlichen Problembereiche Klima, biologische Vielfalt und Wüstenbildung auf das Engste miteinander verknüpft sind. Sie wird uns Ansporn sein, ambitioniert und global zu handeln.
Die Generalversammlung ist das einzige Organ, in dem alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gleichberechtigt vertreten sind. Es gibt kein Forum, das besser geeignet wäre, um grenzüberschreitende und uns alle betreffende Probleme zu bewältigen. Wenn es um die Erde unter unseren Füßen, den lebensspendenden und lebenserhaltenden Boden geht, gilt es keine Zeit zu verlieren. Zwar vermögen Konferenzen auf hoher Ebene die Situation nicht über Nacht zu verbessern, doch indem wir uns über die Grundlagen verständigen, uns über bewährte Vorgehensweisen austauschen und gemeinsam produktive Schritte unternehmen, können wir den Kurs korrigieren. Am Ende werden wir das Ruder herumreißen und Wüstenbildung, Bodendegradation und Dürren aktiv angehen, denn uns bleibt keine andere Wahl. Dazu müssen wir jedoch zusammenarbeiten und manche unserer Verhaltensweisen ändern. Ich hoffe, dass die Vereinten Nationen dabei auf Ihre Unterstützung zählen können.
Mehr zu diesem Thema in englischer Sprache unter https://www.un.org/pga/75/event/high-level-dialogue-on-desertification-land-degradation-and-drought/
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Volkan Bozkr ist Präsident der UN-Generalversammlung
Eine Version des Artikels wurde in Wiener Zeitung am 20. Mai 2021 veröffentlicht.