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UNIS/INF/429
2. November 2011

Pressemitteilung UNDP

Bericht über die menschliche Entwicklung 2011 warnt
Umwelttrends bedrohen globale Fortschritte für die Armen

Untätigkeit gegenüber Klimaveränderungen und Zerstörung von Lebensräumen erschwert Verbesserung der Gesundheits- und Einkommenssituation in Entwicklungsländern

Umweltgefahren hängen auch mit Wohlstandsgefälle und Geschlechterungleichheit zusammen

BERLIN, 2. November (UNO-Informationsdienst) - Die Fortschritte in der Entwicklung der ärmsten Länder der Welt könnten um die Jahrhundertmitte zum Stillstand kommen oder sich sogar umkehren, wenn nicht unverzüglich mutige Schritte eingeleitet werden, um weitere Umweltschäden zu verhindern und die tiefen Ungleichheiten innerhalb der Länder und zwischen ihnen abzubauen. Dies geht aus dem Bericht über die menschliche Entwicklung 2011 hervor, der heute vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) weltweit und von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Berlin veröffentlicht wurde. Die deutsche Ausgabe wurde vorgestellt von Eva Jespersen, stellv. Leiterin des Büros des Berichts über die menschliche Entwicklung. Erhard Eppler sowie Staatssekretärin Gudrun Kopp vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kommentierten den Report.

Der Bericht 2011 mit dem Titel "Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit: Eine bessere Zukunft für alle" plädiert dafür, beide Aspekte im Blick zu behalten. Um ökologische Nachhaltigkeit möglichst fair und effektiv zu verwirklichen, gilt es, bestehende Ungleichheiten bei Gesundheit, Bildung, Einkommen und Gleichstellung zu überwinden und zugleich die erforderlichen globalen Maßnahmen zur Sicherung der Energieerzeugung und zum Schutz der Ökosysteme zu ergreifen.

Mit Blick auf die wegweisende UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung, die im Juni 2012 in Rio de Janeiro stattfinden wird, betont der Bericht, dass die internationale Gemeinschaft die Frage der Nachhaltigkeit unter der Perspektive grundlegender sozialer Gerechtigkeit für die heutigen und die künftigen Generationen behandeln muss.

"Nachhaltigkeit ist nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig ein Umweltproblem, wie dieser Bericht überzeugend darlegt", schreibt Helen Clark, Administratorin des UNDP, in ihrem Vorwort. "Es geht im Grunde darum, für welche Art der Lebensführung wir uns entscheiden, in dem Bewusstsein, dass alles, was wir tun, Folgen für die sieben Milliarden Menschen hat, die heute mit uns zusammen diesen Planeten bevölkern, aber auch für die vielen weiteren Milliarden, die in den Jahrhunderten nach uns auf ihm leben werden."

Der redaktionell unabhängige Bericht über die menschliche Entwicklung wird alljährlich vom UNDP in Auftrag gegeben. Die erste Ausgabe, die 1990 erschien, führte den Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index - HDI) ein. Mit diesem zusammengesetzten Maß, das die Dimensionen Gesundheit, Bildung und Einkommen erfasst, wurden erstmalig die rein wirtschaftlichen Messgrößen nationaler Erfolge infrage gestellt. Außerdem ging es darum, auf globaler Ebene die Fortschritte des gesamten Lebensstandards konsequent zu überwachen.

Zwischen 1970 und 2010 gelang es den Ländern, die zu den unteren 25 Prozent der HDI-Rankings gehörten, ihre HDI-Gesamtleistung um erstaunliche 82 Prozent zu steigern, das Doppelte des globalen Durchschnitts. Wenn diese Verbesserungen der letzten 40 Jahre mit dem gleichen Tempo über die nächsten 40 Jahre anhalten würden, könnte die große Mehrheit der Länder 2050 das HDI-Niveau derjenigen erreichen, die heute die oberen 25 Prozent des HDI-Rankings bilden. Der Bericht hält fest, dass dies für die weltweite menschliche Entwicklung eine außerordentliche Leistung in weniger als hundert Jahren wäre. Er warnt jedoch, dass die eskalierenden Umweltgefahren diese positiven Entwicklungstrends um die Mitte dieses Jahrhunderts abrupt zum Stillstand bringen könnten. Insbesondere weist er darauf hin, dass die Gefährdung der Menschen in den ärmsten Ländern durch klimabedingte Katastrophen wie Dürren, Überschwemmungen oder Luft- und Wasserverschmutzung unverhältnismäßig hoch ist.

Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit

Zwar hat die menschliche Entwicklung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Dennoch hat sich die Ungleichverteilung des Einkommens verschärft, die Geschlechterungleichheit ist nach wie vor stark ausgeprägt, und die immer schnellere Umweltzerstörung führt dazu, dass die ärmsten Haushalte und Gemeinschaften "unter doppelter Verschlechterung leiden", wie es in dem Bericht heißt. Er stellt fest, dass die Mangelernährung weltweit zur Hälfte auf Umweltfaktoren wie Wasserverschmutzung und durch Dürre bedingte Knappheit zurückzuführen ist, sodass sich ein Teufelskreis aus Verarmung und ökologischen Schäden verfestigt.

Hoher Lebensstandard muss nicht zwangsläufig kohlenstoffintensiv sein und damit dem Beispiel der reichsten Länder folgen, betont der Bericht. Er präsentiert Belege dafür, dass zwar in den letzten Jahrzehnten CO2-Emissionen eng mit dem Wachstum des Nationaleinkommens verbunden waren, der Verbrauch fossiler Brennstoffe jedoch nicht mit anderen wichtigen Messgrößen menschlicher Entwicklung wie Lebenserwartung und Bildung einhergehen muss. Tatsächlich reduzieren zahlreiche hochentwickelte Industriestaaten ihren CO2-Fußabdruck bei gleichbleibendem Wachstum.

"Wachstum, das durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe angetrieben wird, ist keine Voraussetzung für ein besseres Leben im Sinn einer breiteren menschlichen Entwicklung", betonte Eva Jespersen.: Investitionen, die für mehr Chancengerechtigkeit sorgen - zum Beispiel durch verbesserten Zugang zu erneuerbarer Energie, Wasser, Sanitäreinrichtungen und reproduktiven Gesundheitsdiensten - könnten Nachhaltigkeit und menschliche Entwicklung gleichzeitig voranbringen."

Der Bericht fordert, dass die 1,5 Milliarden Menschen, die derzeit an kein Stromnetz angeschlossen sind, in die Elektrizitätsversorgung einbezogen werden. Dies sei auf erschwingliche und nachhaltige Weise und ohne signifikanten Anstieg der CO2-Emissionen zu erreichen. Für die Verwirklichung dieser neuen, von den Vereinten Nationen unterstützten "Initiative für den allgemeinen Zugang zu Energie" veranschlagt der Bericht Investitionen in Höhe eines Achtels des Betrags, der gegenwärtig für die Subventionierung fossiler Brennstoffe ausgegeben wird: 2009 waren dies weltweit schätzungsweise 312 Milliarden US-Dollar.

Auch schließt sich der Bericht der vielfach erhobenen Forderung an, zur Finanzierung des Kampfes gegen Klimawandel und extreme Armut eine internationale Devisentransaktionssteuer oder eine allgemeinere Finanztransaktionssteuer einzuführen. Eine Abgabe von lediglich 0,005 Prozent auf Devisengeschäfte könnte pro Jahr 40 Milliarden Dollar oder mehr einbringen, schätzt der Bericht. Dadurch könnten die Hilfen für arme Länder, die sich 2010 auf 130 Milliarden Dollar beliefen, erheblich ausgeweitet werden - und das zu einer Zeit, in der die Entwicklungsfinanzierung aufgrund der globalen Finanzkrise gegenüber den früher eingegangenen Verpflichtungen im Rückstand ist.

"Die Steuer würde es ermöglichen, dass diejenigen, die am meisten von der Globalisierung profitieren, denen helfen, die am wenigsten davon haben", argumentiert der Bericht. Er schätzt, dass allein zur Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, vor allem in Südasien und Afrika südlich der Sahara, rund 105 Milliarden Dollar jährlich benötigt werden. Der Bericht untersucht auch soziale Faktoren, die nicht immer mit ökologischer Nachhaltigkeit einhergehen:

Sollte die Verschlechterung der Umweltbedingungen ungebremst weitergehen - von Dürren in Afrika südlich der Sahara bis zum Anstieg des Meeresspiegels, der tiefliegende Länder wie Bangladesch unter Wasser setzen könnte -, sehen die Autoren gravierende Probleme voraus. Die Nahrungsmittelpreise könnten um bis zu 50 Prozent in die Höhe schießen, die Anstrengungen zur Erweiterung der Wasser- und Sanitärversorgung und des Energiezugangs für Milliarden Menschen, vor allem in Südasien und Afrika südlich der Sahara, könnten zunichte gemacht werden.

Der Bericht schätzt, dass in einem Szenario mit Umweltproblemen, das die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Nahrungsmittelproduktion und Umweltverschmutzung einrechnet, der durchschnittliche HDI in Südasien und Afrika südlich der Sahara bis 2050 um 12 Prozent niedriger liegen würde als in einem Szenario ohne Umweltprobleme. In der noch schlimmeren Situation einer Umweltkatastrophe - d.h. umfangreicher Entwaldung, dramatischem Artenschwund und immer häufigeren extremen Wetterereignissen - würde der globale HDI um 15 Prozent unter die Projektion eines Szenarios ohne Umweltprobleme für 2050 fallen, wobei die ärmsten Regionen von den stärksten Einbußen betroffen würden.

Die Zerstörung der Umwelt könnte die über Jahrzehnte unternommenen Anstrengungen zur besseren Versorgung der ärmsten Gemeinschaften der Welt mit Wasser, Sanitäreinrichtungen und Elektrizität untergraben: "Diese absoluten Formen von Mangelerscheinungen sind nicht nur per se von Bedeutung, sondern stellen Verletzungen grundlegender Menschenrechte dar", schreiben die Autoren.

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ÜBER DIESEN BERICHT: Der jährlich erscheinende Bericht über die menschliche Entwicklung ist eine unabhängige Publikation des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Die Ausgabe 2011 in zehn Sprachen sowie ergänzende Materialien über die Indizes und spezielle regionale Aspekte stehen auf der HDR-Webseite zum kostenlosen Download zur Verfügung: http://hdr.undp.org/

Herausgeberin der deutschen Ausgabe ist die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Der Bericht ist zu beziehen über den UNO-Verlag, August-Bebel-Allee 6, D-53175 Bonn Telefon: (0228) 94902-0, Telefax: (0228) 94902-22, info@uno-verlag.de, www.uno-verlag.de

Deutschsprachiges Material zum Bericht auch auf www.dgvn.de

ÜBER UNDP: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) ist vor Ort in 177 Ländern und Gebieten. UNDP unterstützt Staaten beim Aufbau stabiler Gesellschaften und fördert nachhaltiges Wachstum, um die Lebensqualität von Menschen zu verbessern. Zusammen mit seinen internationalen und lokalen Partnern stärkt UNDP Menschen dabei, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

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