Überall auf der Welt müssen wir zusehen, wie uns die Fortschritte auf dem Gebiet der Frauenrechte zwischen den Fingern zerrinnen. Laut letzten Prognosen benötigen wir, wenn wir so weitermachen wie bisher, noch einmal 300 Jahre, um die volle Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen.
Die sich aufeinandertürmenden Krisen unserer Zeit, vom Krieg in der Ukraine bis zum Klimanotstand, treffen Frauen und Mädchen als Erste und am härtesten. Und Teil der weltweiten Angriffe auf die Demokratie ist auch, dass das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper und über ihr Leben in Frage gestellt und geleugnet wird.
Zwei Zahlen machen unser Versagen überdeutlich:
Alle zehn Minuten wird eine Frau oder ein Mädchen von einem Familienmitglied oder Intimpartner ermordet.
Alle zwei Minuten stirbt eine Frau während der Schwangerschaft oder der Geburt ihres Kindes. Die allermeisten dieser Todesfälle wären leicht vermeidbar.
Am Internationalen Tag der Frau müssen wir uns verpflichten, unsere Sache besser zu machen. Wir müssen diese entsetzlichen Trends umkehren und für das Leben und die Rechte von Frauen und Mädchen eintreten – überall.
Dies ist eine meiner Kernprioritäten und ein zentrales Element der Arbeit der Vereinten Nationen weltweit.
Von Südsudan bis Myanmar stehen wir Frauen und Mädchen in Krisensituationen zur Seite und sorgen dafür, dass sie in Friedensprozessen Gehör finden.
Die Stellvertretende UN-Generalsekretärin, Amina Mohammed, reiste kürzlich nach Afghanistan mit einer klaren Botschaft an die staatlichen Behörden: Frauen und Mädchen haben grundlegende Menschenrechte, und wir werden niemals aufgeben, für sie zu kämpfen.
Der diesjährige Internationale Tag der Frau setzt den Schwerpunkt auf das Überwinden der Geschlechterdisparitäten in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Innovation. Weltweit gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Männer Zugang zum Internet haben, 21 Prozent höher als bei Frauen – in Ländern mit niedrigem Einkommen sogar über 50 Prozent höher.
Doch selbst die reichsten Länder machen im Hinblick auf geschlechtsspezifische Rollenklischees und historisch entstandene Vorurteilen keine gute Figur. In der Technologiebranche kommen auf jede Frau zwei Männer. Im Bereich der künstlichen Intelligenz liegt das Verhältnis sogar bei eins zu fünf.
Big Data ist das neue Gold und Grundlage für Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. Doch werden dabei geschlechtsspezifische Unterschiede oft ignoriert – oder Frauen absichtlich ganz ausgeblendet.
Wir alle sollten alarmiert sein, wenn Produkte und Dienstleistungen durch ihre Gestaltung die Ungleichheit der Geschlechter zementieren und Patriarchat und Frauenfeindlichkeit in der digitalen Welt fortführen. Die Silicon Valleys dieser Erde dürfen nicht zu Death Valleys für Frauenrechte werden.
Medizinische Entscheidungen, die auf Daten zum männlichen Körper fußen, können für Frauen nicht nur schädlich, sondern tödlich sein.
Die Diskriminierung von Frauen in Wissenschaft und Technologie ist die Folge einer jahrhundertealten Tradition von patriarchalen Strukturen, Diskriminierung und schädlichen Rollenklischees. Frauen machen nur drei Prozent aller Personen aus, die seit 1901 einen Nobelpreis in den wissenschaftlichen Kategorien erhalten haben. Und Frauen, die im Internet präsent sind, einschließlich Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen, sind oft Ziel sexistischer Hasskommentare und Übergriffe, mit denen sie zum Schweigen gebracht und bloßgestellt werden sollen.
Doch sie werden nicht verstummen. Frauen und Mädchen überall fordern ihre Rechte ein, und ihre Worte finden in der ganzen Welt Widerhall.
Wir müssen an mehreren Fronten handeln, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen ihren vollen Beitrag zum Wissen der Menschheit durch Wissenschaft und Technologie leisten können.
Wir müssen Hürden niederreißen — von diskriminierenden Daten bis hin zu Rollenklischees, die Mädchen schon im jungen Alter von naturwissenschaftlichen Fächern abschrecken.
Entscheidungsverantwortliche in verschiedensten Bereichen müssen für vermehrte Teilhabe und Führungsverantwortung von Frauen in Wissenschaft und Technologie sorgen, wenn nötig auch durch die Einführung von Quoten.
Sie sollten bei der Personalbeschaffung kreativer und innovativer sein, und den Blick bei Rekrutierungen weiten. Und sie müssen einen langen Atem haben. Die Geschlechtergleichstellung wird nicht von allein kommen, sie muss priorisiert und aktiv verfolgt werden. Bei den Vereinten Nationen, wo wir für die Geschlechterparität unter unseren Bediensteten eine eigene Strategie verfolgen, zeigt dieser Ansatz bereits Wirkung.
Ebenso müssen wir handeln, um ein sicheres digitales Umfeld für Frauen zu schaffen und bei Fällen von Online-Missbrauch sowohl die Tatverantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen als auch die digitalen Plattformen, die solche Taten ermöglichen.
Die Vereinten Nationen arbeiten mit Regierungen, der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und anderen Akteuren daran, einen Verhaltenskodex zu entwickeln, der den Schaden begrenzen und digitale Plattformen verstärkt zur Rechenschaft ziehen soll und zugleich das Recht der freien Meinungsäußerung verteidigt.
Frauenrechte sind kein Luxus, der warten kann, bis wir die Klimakrise überwunden, die Armut besiegt und eine bessere Welt geschaffen haben.
Investitionen in Frauen und Mädchen gereichen allen Menschen, Gemeinschaften und Ländern zum Vorteil und sind der sicherste Weg zur Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Setzen wir uns gemeinsam für eine Welt ein, in der Frauen und Mädchen, Männer und Jungen überall mehr Inklusion, Gerechtigkeit und Wohlstand genießen.
Eine Version des Artikels wurde in Wiener Zeitung am 8.3.2023 veröffentlicht.