Für mich wird der Welttag der Humanitären Hilfe immer ein Anlass von gemischten und unverarbeiteten Gefühlen sein. Unter den Opfern an jenem Tag war auch Sergio Vieira de Mello, der damalige Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für den Irak. Sergio war mein Freund und der Patenonkel meiner Tochter.
Sergio hatte sich den Vereinten Nationen vollkommen gewidmet. Im Jahr 1969, kurz nach seinem Universitätsabschluss, begann er für das Hochkommissariat für Flüchtlinge zu arbeiten und verbrachte den Rest seines tragisch verkürzten Lebens bei den Vereinten Nationen in fortschreitend höheren Positionen. Ich habe 1996 zum ersten Mal mit ihm zusammengearbeitet, als er kurzzeitig als Regionaler Humanitärer Berater für die Region der Großen Seen für die UN arbeitete und ich vor der Amtsübernahme sein Stellvertreter war. Aber ich lernte ihn erst richtig kennen als wir 1998 nach New York gingen, um dort das neue Amt für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) einzurichten – er als Unter-Generalsekretär für Humanitäre Angelegenheiten und ich wiederum als sein Stellvertreter.
Wir kamen uns näher, verbunden durch unsere gemeinsame Leidenschaft für die Realität humanitärer Zwangslagen vor Ort und der Suche nach Lösungen. Wie viele unserer Besten hatte auch Sergio eine Leidenschaft, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert war, und eine Kopie der Charta, die er immer bei sich trug. Er verfügte über eine ausgeprägte Weltanschauung, die seine Arbeit und seine Redekunst noch wirkungsvoller machten. Auch persönlich kamen wir uns näher, und ich bin immer noch stolz, dass meine Tochter sein Patenkind war. Es war diese Verbindung aus persönlichem Vertrauen und beruflicher Partnerschaft mit Sergio, die seinen Tod für mich, wie für so viele, traumatisch, aber auch so prägend machte. Sein Beispiel inspiriert mich heute, da ich jetzt die Rolle ausübe, die er vor all den Jahren innehatte.
Die Abruptheit und Endgültigkeit von Sergios Verlust erschütterte mich zutiefst. Ich kam plötzlich mit unserer Sterblichkeit in Berührung, obwohl ich bereits viele Jahre in Kriegsgebieten gearbeitet hatte. Ich trauere bis zum heutigen Tag um ihn. Insgesamt wurden 22 Menschen an diesem Tag getötet und mehr als 100 verletzt. Viele von ihnen waren UN-Mitarbeitende. Viele von ihnen waren Iraker. Aber was alle verband, war die Mission, dem Irak zu helfen, sich zu erholen und das Land wieder aufzubauen.
Mir ist bewusst, was diese Gedenkfeier für die Familien, Freunde und Kollegen der Menschen bedeutet, die an diesem Tag betroffen waren, und auch für all die Menschen, die seitdem im Rahmen der humanitären Hilfe getötet, verletzt oder entführt wurden. Und ich weiß, was es für die humanitäre Gemeinschaft und die Gemeinschaft der Vereinten Nationen insgesamt bedeutet – der Verlust einer Person ist ein Verlust für uns alle. Ich spüre ihre Trauer und ihren Schmerz.
Ich verspüre auch Wut. Wut darüber, dass die Verantwortlichen für den Bombenanschlag auf das Canal Hotel und für die meisten Angriffe auf Mitarbeitende humanitärer Organisationen seither – und auch für Angriffe auf medizinisches Personal und Zivilisten in Konflikten – nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Es macht mich wütend, dass Jahr für Jahr Mitarbeitende humanitärer Organisationen weiterhin das Ziel vorsätzlicher Angriffe sind und bei ihrer Arbeit getötet, verletzt und entführt werden; in den vergangenen Jahren wurden mehr als 400 Mitarbeitende von Hilfsorganisationen Opfer - die meisten von ihnen waren nationale Mitarbeitende. Die Straflosigkeit für diese Verbrechen ist eine schreckliche Narbe auf unserem kollektiven Gewissen. Andächtige Worte machen keinen Unterschied, Taten machen einen Unterschied. Es ist an der Zeit, dass wir den Worten Taten folgen lassen, wenn es um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und die Bekämpfung der Straflosigkeit bei Vorstößen geht.
Aber mein überwältigendes Gefühl an diesem und jedem anderen humanitären Welttag ist auch ein tiefes Gefühl des Stolzes. Ich bin stolz darauf, mit Menschen wie Sergio zusammengearbeitet zu haben. Und stolz darauf, Teil einer Organisation und einer Gemeinschaft zu sein, die sich weiterhin dafür einsetzt, trotz aller Risiken, mehr Menschen als je zuvor auf der Welt in Zeiten der Not zu helfen.
An diesem Welttag der humanitären Hilfe gedenke ich Sergio und all derer, die bei dem Bombenanschlag auf das Canal Hotel vor 20 Jahren ihr Leben verloren haben und verletzt wurden. Ich gedenke all derer, die bei ihrem Einsatz für humanitäre Hilfe getötet, verletzt oder entführt wurden. Und ich gedenke all derer, die sich weiterhin für Hunderte von Millionen von Menschen einsetzen, die auf der ganzen Welt in Not sind, egal wer, egal wo und egal was.
Als UN-Nothilfekoordinator und UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten verspreche ich den humanitären Helfern am Welttag für humanitäre Hilfe Folgendes: Wir werden uns weiterhin für eure Sicherheit einsetzen, während ihr eure lebenswichtige Arbeit fortsetzt; wir werden eine systematische und vorhersehbare Führung für sicheren Zugang zu humanitärer Hilfe bieten; wir werden weiterhin die Rechenschaftspflicht für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht fordern; und wir werden unser Bestes tun, um uns um euch zu kümmern, wenn ihr Unterstützung braucht.
Wir können nicht diejenigen zurückbringen, die von uns genommen wurden. Jedoch können wir ihr Andenken würdigen, indem wir alles tun, um diejenigen zu unterstützen, die ihre Arbeit fortsetzen.
© UN Photo/Mark Garten